Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Reine
Menschen, reine Luft
Von Ferdinand von
Schirach, Spiegel, 02.08.2010
Ich verstehe es
nicht, wie jemand nicht rauchen kann - er bringt sich doch,
sozusagen, um des Lebens bestes Teil und jedenfalls um ein ganz
eminentes Vergnügen! Wenn ich aufwache, so freue ich mich, daß ich
tagsüber werde rauchen dürfen, und wenn ich esse, so freue ich mich
wieder darauf, ja ich kann sagen, daß ich eigentlich bloß esse, um
rauchen zu können, wenn ich damit natürlich auch etwas übertreibe.
Aber ein Tag ohne Tabak, das wäre für mich der Gipfel der
Schalheit, ein vollständig öder und reizloser Tag, und wenn ich mir
morgens sagen müßte: heut gibt's nichts zu rauchen - ich glaube,
ich fände den Mut gar nicht, aufzustehen, wahrhaftig, ich bliebe
liegen.
Hans Castorp in
Thomas Manns "Zauberberg"
Es ist Sommer, es
ist heiß, Hundstage, fast windstill. Wir stehen mit hochgekrempelten
Hosen im Bach und fischen. Ich bin sechs oder sieben Jahre alt. Mein
Vater trägt einen alten Strohhut mit Löchern, er ist noch sehr
jung. Wir sind keine großen Angler, selten beißt ein Fisch, aber
wir flüstern, weil wir glauben, die Fische könnten uns vielleicht
doch hören. Wenn wir endlich eine Forelle fangen, braten wir sie an
einem Stock über dem Feuer und essen sie nur mit Salz. Es ist die
beste Forelle der Welt. Dann zieht mein Vater ein schmales Lederetui
mit seinen Zigaretten aus der Tasche. Er hat ein silbernes Feuerzeug,
es klickt laut und riecht nach Benzin. Er schiebt den Hut zurück,
wir liegen auf der Wiese und schauen in den Himmel.
Er kann perfekte
Rauchkringel machen, graublau, dann werden sie dünner und größer,
fransen aus und lösen sich auf. Es gibt Grillen und Hafergras, und
ich habe schmutzige Füße. Er erzählt mir die Geschichte vom
Gewicht des Rauchs. Queen Elizabeth I. hatte gewettet, selbst der
kluge Walter Raleigh könne nicht das Gewicht des Rauchs bestimmen,
Luft könne man ja auch nicht wiegen. Sir Walter nahm die Wette an.
Er legte seine Zigarre auf eine Waage und notierte das Gewicht. Dann
rauchte er sie langsam, streifte alle Asche sorgfältig in die
Waagschale und legte am Ende auch den Stumpen auf die Waage. Von dem
ersten Gewicht zog er das zweite ab, die Differenz war das Gewicht
des Rauchs. Die Queen bezahlte und sagte, sie habe jetzt zum ersten
Mal verstanden, wie man Rauch in Geld verwandele. Viel später habe
ich die Geschichte noch einmal in Paul Austers wunderbarem Film
"Smoke" gehört, aber damals war das unser Sommer: Forellen
mit Salz, die Hitze, die Zigaretten meines Vaters und seine
Geschichten.
Das ist lange her.
In Bayern wurde jetzt ein Volksentscheid über das Rauchen in
Gaststätten und anderen Orten durchgeführt. Eigentlich ging es um
nichts mehr, in rund 85 Prozent aller Lokale wurde bereits nicht mehr
geraucht. An anderen Orten, für die es keine Alternativen gibt - in
Bahnhöfen, Flughäfen, öffentlichen Gebäuden -, war Rauchen
ohnehin verboten.
Das Ergebnis sei
eindeutig, hieß es. Nur knapp 38 Prozent der Wahlberechtigten
beteiligten sich, von ihnen stimmten 61 Prozent für das totale
Verbot. In Wirklichkeit haben sich also nur knapp 23 Prozent der
Wähler gegen das Rauchen entschieden. Und wenn es gerecht sein soll,
wäre die nächste Frage, wie viele der 23 Prozent denn wirklich
abends in Restaurants oder auf das Oktoberfest gehen. Aber vielleicht
geht es darum ja gar nicht.
Initiator des
Volksbegehrens war Sebastian Frankenberger, 28 Jahre, Passauer
Stadtrat für die ÖDP, die "Öko-Demokraten", wie sie sich
nennen. Frankenberger sagt, er glaube an das Gute im Menschen.
Auf seiner Seite bei
MySpace präsentiert er sich mit einem kleinen Film des Bayerischen
Rundfunks. Man sieht ihn in seltsamem Gang mit weißer Perücke und
Gehrock vor Touristen bei einer Stadtführung. Dann sagt er - jetzt
ohne Perücke, mit langem, jetzt dunkelbraunem Haar -, ihm gehe es
darum, dass "Menschen zu reflektieren beginnen". Manchmal
spricht er im Video von sich in der dritten Person. Frankenberger
schreibt, nur er selbst kenne sein "wahres Ich", und wenn
er gern jemand kennenlernen würde, dann sei das Gott. Und dann sagt
er plötzlich, manchmal denke er, er sei eine "Art Lichtkugel,
die einfach Energie verströmt".
Ich mag
Volksentscheide nicht, sie scheinen unserer Demokratie fremd. Es gibt
keine Schwarmintelligenz bei politischen Einzelabstimmungen,
jedenfalls hat es sie früher nie gegeben. Und die neuen
Nichtrauchergesetze offenbaren ein Fehlverständnis von Demokratie:
Es geht eben nicht nur darum, dass gemacht wird, was die Mehrheit
sagt - es geht auch um Nischen für die Minderheit.
Man kann das auch
anders nennen: Es geht um Toleranz, vielleicht die großartigste der
preußischen Tugenden. Sie ging schon einmal verloren: Im "Dritten
Reich" machten die Anti-Raucher-Zeitschrift "Reine Luft",
deren Nachfolgerin "Die Tabakfrage" und andere
Publikationen das Rauchen für alles verantwortlich: für
Brandstiftung, für Diebstahl und sogar für Mord, wie
Stanford-Professor Robert N. Proctor in seinem Buch "Blitzkrieg
gegen den Krebs" nachweist. Im "Deutschen Tabakgegner"
hieß es: "Wir deutschen Frauen rauchen nicht!" Tabakkonsum
wurde mit Liberalismus, "rassischer Entartung", "sexueller
Verderbtheit", Zügellosigkeit, Jazz, Juden und "Zigeunern"
in Verbindung gebracht - der hygienisch saubere Deutsche sollte auf
der anderen Seite stehen.
Hitler, Mussolini
und Franco, so wurde immer wieder gesagt, seien Nichtraucher,
Churchill, Stalin und Roosevelt Raucher. Und Adolf Hitler wollte nach
dem "Endsieg" den Soldaten die Tabakration entziehen - aus
Sorge um deren Fruchtbarkeit und Arbeitskraft. Er glaubte, der Tabak
sei "die Rache des roten Mannes", den der "weiße
Mann" durch Alkohol zugrunde gerichtet habe. Und am Ende war
Hitler sogar davon überzeugt, das deutsche Volk verdanke seine
"Rettung" der Tatsache, dass er Nichtraucher sei.
Natürlich ist
Rauchen eine Schwäche. Ernst Benda, der frühere Präsident des
Bundesverfassungsgerichts, rauchte immer beim Aktenstudium und
meinte, "die heute herrschende Meinung verachtet solche
Bekenntnisse der Schwäche". Und natürlich hat Sebastian
Frankenberger überhaupt nichts mit dem "Dritten Reich" zu
tun - er scheint ja ein freundlicher Mensch zu sein, ein
Notfall-Seelsorger mit weicher Stimme und dem Guten im Herzen, ein
Missionar, der nur die letzten 15 Prozent des Bösen besiegen will.
Die Gefahr aber war zu allen Zeiten gleich: Jemand glaubt, er kenne
den Weg zum Glück, er wird zum Eiferer, muss die Welt retten -
Frankenberger will übrigens auch gleich die ganze Kirche
"revolutionieren". Das Ziel ist immer groß und immer
anders, heute heißt es: der reine Mensch in der reinen Luft. Und
wenn es nicht anders geht, müssen die Leute halt zu ihrem Glück
gezwungen werden. Was schert uns Toleranz, wenn wir einmal das
Richtige erkannt haben, Schwächen kann man austreiben, notfalls mit
Gesetzen.
Und wie wird es
aussehen, wenn wir so weitermachen? In Brüssel werden Werbeverbote
für Süßigkeiten diskutiert. In Baden-Württemberg wurde der
nächtliche Alkoholverkauf aus Kiosken und Tankstellen verboten. Es
wird eine schöne, eine saubere, eine ganz neue Welt. In Berlin kann
man schon die Richtung sehen: Unter den Linden gibt es seit kurzem
ein "Nivea Haus", Flagshipstore, wie das heute heißt. Vorn
Erfrischungstücher, Duschgel und Creme, hinten die "Verwöhnbar"
in Weiß, Beige und natürlich Blau. Die Gerichte heißen
"Seelenbalsam" und "Leckerschmecker", es gibt
"Cranberry-Ziegenkäse-Salat" und Getränke aus
Shiitakepilzen und schwarzem Karottensaftextrakt. Auf den Flaschen
steht "Immunity Defense" und "Functional Infusions".
Wahrscheinlich wird man uralt, wenn man sich so ernährt,
Reinigungstücher sind kostenlos. Hier raucht niemand mehr. Natürlich
nicht.
In ein paar Jahren
werden wir in hellen Restaurants ausschließlich Obstsäfte aus
biologisch und menschenrechtlich einwandfreiem Anbau trinken, auf der
Karte werden Kalorienangaben gedruckt, die Kohlenhydratmenge eines
Gerichts darf zwölf Prozent nicht übersteigen, Salz-, Zucker- und
Fettanteile sind gesetzlich festgelegt.
Wir werden auf dem
iPad Zeitungen ohne Druckerschwärze lesen, Apple hat dort nackte
Frauen und Gewalt abgeschafft. Der Kellner wird von Zeit zu Zeit die
Gesprächsthemen kontrollieren: keine Politik und Wirtschaft, Sport
ist in Ordnung, wenn das Gespräch eine bestimmte Lautstärke nicht
überschreitet. Vor der Tür wird der Kleinwagen mit Elektromotor
stehen, wir setzen uns einen Helm beim Fahren auf, und zu Hause
müssen vor dem Sex umfangreiche Hygienevorschriften beachtet werden
- elektronische Ausweis-Chips mit möglichen Krankheiten werden
vorher ausgetauscht.
Dann werden wir auch
bald das Orgasmotron aus Woody Allens "Schläfer" erfinden,
und endlich wird die schmutzige körperliche Berührung ganz
wegfallen. Das alles machen wir freiwillig, wir verlangen, dass
solche Gesetze erlassen werden; wir finden, es ist so besser für uns
alle.
Das Rauchen wurde
immer schon bekämpft. James I., der Nachfolger der wettenden
Elizabeth, schrieb 1604 das königliche Anti-Raucher-Pamphlet "A
Counterblaste to Tobacco". Die sittenstrenge Königin Victoria
führte schließlich im 19. Jahrhundert das Rauchverbot auf ihren
Schlössern ein. Ihr Zeitalter war so freudlos, dass sogar das
Sammeln von Farnen populär wurde, weil die Befruchtungsorgane bei
ihnen züchtig unter den Blättern liegen. Ihr Sohn, Edward VII., war
in jeder Hinsicht das Gegenteil. Er mochte Pferderennen, Glücksspiel
und Theater. Und obwohl er fürchterlich dick war, hatte er unzählige
Affären, er liebte die Frauen, und die Frauen liebten ihn.
Die
kurze Zeit seiner Regentschaft war der Vorabend des Ersten
Weltkriegs, eine letzte schwankende Epoche voller Schwächen und
voller Lust. Nach dem Tod seiner Mutter lud Edward, damals 59 Jahre
alt, Freunde in den Buckingham Palace und tat das, was man mit
Victorianismus und Pietismus unbedingt tun sollte - er beendet sie
mit einem einzigen Satz. Edward zog seine Zigarren hervor, zündete
sich eine an und sagte in die Runde: "Gentlemen, you may smoke."
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